3. Interdisziplinäre Podiumsdiskussion
Multiple Sklerose beeinflusst viele Lebensbereiche der Betroffenen und ihrer Angehörigen. Die dritte interdisziplinäre Podiumsdiskussion der Diskussionsreihe „Perspektive inklusive!“ von Merck Österreich stellte die Lebensstilaspekte der MS in den Fokus. Durch den interdisziplinären Diskurs führte Univ.-Prof. Dr. Jörg Weber, Neurologische Abteilung, Klinikum Klagenfurt am Wörthersee.
Ein ausgezeichnetes Leben trotz MS: Alfred Wukitsevits, heute 45 Jahre alt, ist der Beweis dafür, dass trotz MS ein erfülltes Leben möglich ist. Er steht voll im Berufsleben und ist als Triathlet sportlich erfolgreich. Bei Diagnosestellung hatte Wukitsevits nach eigenen Schilderungen allerdings den Rollstuhl vor Augen und dachte bereits über eine Pensionierung nach: „Ich hätte mir zu diesem Zeitpunkt sehr gewünscht zu hören, was mit der Erkrankung noch alles möglich sein wird. Denn damals ist für mich eine Welt zusammengebrochen.“ Den großen Umschwung brachte eine vierwöchige Rehabilitation. „Was ich dort gelernt habe, hat mich sehr stark gemacht“, berichtete Wukitsevits: „Ich habe gesehen, dass ich Sport betreiben kann. Durch meinen Sport hat das Leben für mich einen ganz anderen Sinn bekommen.“ [...]
Menschen mit MS haben es heutzutage in der Hand, ihre Krankheitsprogression positiv zu beeinflussen.
Neben wissenschaftlich unbewiesenen Möglichkeiten wie Diät oder Nahrungsergänzungsmitteln steht vor allem eine wissenschaftlich nachgewiesene Methode zur Verfügung – Bewegung!
Viele Jahre lang war sportliches Training für Menschen mit MS ein „no go“. Die Angst vor dem Auftreten von Schüben, vor Verschlechterung der körperlichen Symptomatik und Verstärkung der Ermüdbarkeit war der Hauptgrund dafür. Heute ist wissenschaftlich mehrfach nachgewiesen, dass Trainingstherapie keine Erhöhung der Schubanzahl bedingt, eine allfällige Verschlechterung von vorhandenen Symptomen nach Training vorübergehend ist, die Ermüdbarkeit durch Training sogar günstig beeinflusst wird. Symptome wie Spastik, Mobilitätsprobleme werden vermindert. Es gibt sogar Hinweise, dass der Krankheitsverlauf selbst oder auch Symptome aus dem neuropsychologischen Bereich wie zum Beispiel Gedächtnisstörungen durch Ausdauertraining positiv beeinflusst werden können. Wichtig ist auch, dass durch Training zusätzliche Risikofaktoren für andere lebensstilbedingte körperliche Erkrankungen wie zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Osteoporose günstig beeinflusst werden.
Das Motto „Bewegung ist Leben“ gilt also auch und sogar in besonderem Maße für Menschen mit MS!
OA DR. DIETER CHRISTOFL, Abteilung für Neurologische Rehabilitation, Gailtal-Klinik, Hermagor
Chronische Krankheiten spielen in der Medizin eine zunehmende Rolle. Eine chronische Erkrankung wie die Multiple Sklerose bedeutet grundsätzlich einen massiven Einschnitt auf mehreren Ebenen im Leben eines Menschen. Die unterschiedlichen Verläufe der Erkrankung („Die MS hat 1000 Gesichter“) mit einer Vielfalt unspezifischer Symptome tragen zu einem Wechselbad der Gefühle bei. Die weitgehende Irreversibilität bzw. Progredienz und die Unvorhersagbarkeit des Verlaufs stellen eine massive Bedrohung für den Kranken dar und erfordern eine hohe Anpassungsleistung. Als besonders belastend werden die Bedrohung der körperlichen Integrität, die vielfältigen Verluste in persönlicher und sozialer Hinsicht und vor allem der drohende Verlust der Autonomie bzw. die hohe Inanspruchnahme von Ärzten und Pflege erlebt. Wichtig für die Bewältigung der Erkrankung ist nicht nur die Beachtung der Grenzen, sondern auch der noch vorhandenen Möglichkeiten trotz der Erkrankung. Deswegen muss im Sinne der Salutogenese der Förderung der Ressourcen (körperlich, seelisch, sozial) und der Beachtung der prämorbiden Persönlichkeitsstruktur eine hohe Aufmerksamkeit geschenkt werden.
AO. UNIV.-PROF. DR. JOHANN KINZL, ehem. Direktor der Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin Innsbruck
Bei der Multiplen Sklerose (MS) handelt es sich um eine chronische Erkrankung. Bei sehr vielen MS-Betroffenen kommt es im Erkrankungsverlauf und damit im Verlauf ihres Lebens zu einer zunehmenden Behinderung, wobei der individuelle Krankheitsverlauf und damit die Symptome sehr unterschiedlich sein können und auch die Bandbreite von keiner bzw. minimaler Behinderung im Erkrankungsverlauf bis hin zur schweren Behinderung interindividuell sehr stark schwankt. Demzufolge ist auch der Einfluss der Erkrankung auf die Lebensführung für die einzelnen Betroffenen sehr unterschiedlich. Hinzu kommt, dass ein gleiches Symptom von einem Patienten kaum bemerkt wird, wohingegen es für einen anderen Betroffenen eine schwere Behinderung mit starker Beeinträchtigung des Lebensstils darstellen kann.
Dank der modernen MS-Therapien sind wir mittlerweile in der Lage, die Ausprägung und auch die Progression der Behinderung bei einzelnen Patienten zu vermindern und zumindest bei einem Großteil der Betroffenen auch bei der Wahl der Therapie auf individuelle Lebensstilaspekte Rücksicht nehmen zu können. Denn eine optimale individuelle Behandlung richtet sich neben der medikamentösen Therapie als Basis vor allem auch nach der Lebensplanung des jeweiligen Betroffenen und sollte auch für den einzelnen Patienten so wichtige Aspekte wie u.a. Arbeitsleben, Familienplanung, Hobbys, Reisen, aber auch Krankheitsverarbeitung beinhalten.
PRIV.-DOZ. DR. JORG KRAUS, Abteilung für Neurologie, A.ö. Krankenhaus Zell am See
Die Multiple Sklerose betrifft im Besonderen junge Menschen und ist eine lebensbegleitende chronische Erkrankung. Nach wie vor ist die Diagnose mit vielen negativen Vorstellungen verbunden. Auf der anderen Seite erleben wir in den letzten Jahren eine dramatische Verbesserung der Therapiemöglichkeiten. Neben der medikamentösen Therapie ist aber eine Reihe von Maßnahmen notwendig, die die Lebensqualität positiv beeinflussen, dazu gehören sportliche Aktivitäten, psychologische Betreuung, soziale Integration und ein aktiver Umgang mit der Erkrankung. Erfreulicherweise ist die Lebenserwartung von MS-Patienten heute nahezu gleich mit der Gesunder, daher kommt auch der Verhinderung und Vorbeugung anderer Erkrankungen eine zunehmende Bedeutung zu. Ziel ist es in jedem Fall, durch eine Reihe von Maßnahmen möglichst lange eine unbeeinflusste Lebensqualität und damit positive Lebensperspektive zu erreichen.
UNIV.-PROF. DR. JORG WEBER, Abteilungsvorstand Neurologische Abteilung, Klinikum Klagenfurt am Wörthersee
Neu an Multipler Sklerose Erkrankte sollen vor allem in der ersten Zeit sehr stark von ärztlicher Seite unterstützt werden, da gerade am Anfang sehr viele Fragen auftauchen. Man muss den Erkrankten zeigen, dass trotz der Krankheit vieles möglich ist. Die Krankheit soll akzeptiert werden, aber keiner sollte sich ihr unterordnen. Trotz MS kann man, oder besser noch, soll man sportlich aktiv werden. Wichtig dabei ist, seine eigenen Grenzen zu kennen und sich erreichbare Ziele zu setzen. Dadurch werden nicht nur die Muskeln, sondern vor allem das Selbstbewusstsein gestärkt.
ALFRED WUKITSEVITS, MS-Betroffener und Triathlet
Multiple Sklerose beeinflusst viele Lebensbereiche der Betroffenen und ihrer Angehörigen. Die dritte interdisziplinäre Podiumsdiskussion der Diskussionsreihe „Perspektive inklusive!“ von Merck Österreich stellte die Lebensstilaspekte der MS in den Fokus. Durch den interdisziplinären Diskurs führte Univ.-Prof. Dr. Jörg Weber, Neurologische Abteilung, Klinikum Klagenfurt am Wörthersee.
Ein ausgezeichnetes Leben trotz MS: Alfred Wukitsevits, heute 45 Jahre alt, ist der Beweis dafür, dass trotz MS ein erfülltes Leben möglich ist. Er steht voll im Berufsleben und ist als Triathlet sportlich erfolgreich. Bei Diagnosestellung hatte Wukitsevits nach eigenen Schilderungen allerdings den Rollstuhl vor Augen und dachte bereits über eine Pensionierung nach: „Ich hätte mir zu diesem Zeitpunkt sehr gewünscht zu hören, was mit der Erkrankung noch alles möglich sein wird. Denn damals ist für mich eine Welt zusammengebrochen.“ Den großen Umschwung brachte eine vierwöchige Rehabilitation. „Was ich dort gelernt habe, hat mich sehr stark gemacht“, berichtete Wukitsevits: „Ich habe gesehen, dass ich Sport betreiben kann. Durch meinen Sport hat das Leben für mich einen ganz anderen Sinn bekommen.“
Bewegung nützt, ein Gläschen Wein schadet nicht: Heute kennt man die positiven Effekte von Bewegung und Sport auf MS. Die Lehrmeinung, dass sich Patienten mit MS nach Möglichkeit nicht bewegen sollten, da Bewegung Schübe auslösen und die Symptomatik verschlechtern könnte, sei wissenschaftlich widerlegt, so OA Dr. Dieter Christöfl, Gailtal-Klinik, Hermagor. „Ganz im Gegenteil: Patienten zu mehr Bewegung im Alltag oder zum Sport zu bringen ist eines der Ziele eines Rehabilitationsaufenthalts.“ Weber riet dazu, bei Lebensstil-Empfehlungen weniger apodiktisch zu sein: „Von einem Gläschen Wein müssen wir nicht mehr abraten. Moderater Alkoholkonsum ist sogar mit einem gewissen Benefit assoziiert.1 Wir sollten unsere Patienten aber dazu motivieren, auf das Rauchen zu verzichten. Es beeinflusst die MS nachteilig und erhöht die Mortalität von MS-Patienten. Über den Effekt von Faktoren wie Sonnenexposition oder Vitamin D auf MS wissen wir zu wenig.“2
Zu einem aktiven Leben motivieren: Priv.-Doz. Dr. Jörg Kraus, Abteilung für Neurologie, A. ö. Krankenhaus Zell am See, und ao. Univ.-Prof. Dr. Johann Kinzl, ehemaliger Direktor der Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin, Innsbruck, betonten den großen Verlust an Autonomie, den die Diagnose MS für die Patienten bringe. Kinzl: „Wir sollten die Autonomie der Betroffenen stärken und müssen dabei ihre Persönlichkeitsstruktur berücksichtigen. An sehr autonome Persönlichkeiten sollte man sich mit Empfehlungen und Informationen wenden und nicht mit Verordnungen.“ Wenn Empfehlungen nicht umgesetzt werden, müsse abgeschätzt werden, wozu der Patient in der Lage sei, so Kinzl. „Ein Patient ist möglicherweise aufgrund mangelnder Ressourcen und nicht aufgrund mangelnder Motivation außerstande, eine Empfehlung zu befolgen.“
Vertrauensvolles Arzt-Patient-Verhältnis: Für Wukitsevits hat das Vertrauensverhältnis zu der ihn betreuenden Ärztin einen sehr hohen Stellenwert: „Ich fühle mich hier gut aufgehoben.“ Und er ist auch mit seiner medikamentösen Therapie zufrieden. Seit Diagnosestellung wendet Wukitsevits Interferon beta-1a s. c. (Rebif®) an. Mit den Nebenwirkungen komme er, wie er sagte, gut zurecht: „Sie sollen gerade am Anfang der Therapie nicht überbewertet werden. Ich denke, dass es nicht sinnvoll ist, deswegen gleich das Medikament zu wechseln. Ein Wechsel ist für mich auch jetzt kein Thema.“
Kraus und Weber hielten abschließend fest: „Wir sollten unsere Patienten dazu motivieren, über die medikamentöse Therapie hinaus aktiv zu sein und zu tun, was ihnen guttut. Sei es auf sportlichem Gebiet, durch Rehabilitation oder auch mit alternativen Maßnahmen. Ziel muss es sein, alle positiven Lebensaspekte stärken.“